Samstag, 28. Januar 2012

Beeindruckt | Impressed

Eigentlich hatte ich versprochen, beim nächsten Post gibt es Bilder von Fertigem. Abgesehen von einem Foto von mir (das wäre das Fertigste, was ich zu bieten hätte, kommt aber natürlich nicht hier in den Blog) hätte ich, dank einer wundervollen Strickfreundin, die auch noch sehr erlesen spannen kann, zwei Tücher zu zeigen, die schon eine Weile fertig sind.

Actually I promised in my last post to show pictures of something finished. Well, I could show a picture of myself (this would be the most pretty well done for I could offer, but showing pictures of myself is of course out of bounds here), and also, thanks to a wonderful knitting friend who is a wizard at blocking, I could show you two shawls, which have been finshed quite some time ago.

Aber ich habe mir eben das Video von der Feierstunde im Bundestag angeschaut. Sie fand heute anlässlich des Jahrestags der Befreiung von Ausschwitz statt. Da passt das auf einmal nicht mehr.

But I just watched the video of a ceremony in the German Bundestag, our parliament, which took place on the anniversary of the liberation of Ausschwitz. So my little work just won't fit there.

Da gibt es das jährliche Schaulaufen der Spektabilitäten unsere Landes, alle Religionen sind in angemessener Kleidung und sehr würdevoll vertreten. Und dann kommt da ein sehr, sehr alter Mann, Marcel Reich-Ranicki, mit einer Mappe unter dem Arm, geführt von den zwei höchsten Würdenträgern, die das Land zu bieten hat, setzt sich hin - und hält nicht etwa eine Fest- oder Mahnrede, sondern erzählt von einem Tag im Warschauer Ghetto. Keine Appelle, kein "wir dürfen nicht vergessen", kein "was die Geschichte uns sagen möchte", nichts dergleichen. Er erzählt, nuschelig und manchmal nicht präzise seinen niedergeschriebenen Worten folgend, einen Tag aus seinem Leben, der Tag, als er den Beschluss seines eigenen und des Todes vieler Menschen protokolliert hat, und wie ihm während dieses ungeheuerlichen Vorganges durch den Kopf gegangen ist, dass seine Freundin ebenfalls in höchster Gefahr schwebt. Später am Tag heiratet er sie in einer hastigen Prozedur, um ihr ein bisschen mehr Sicherheit zu geben.

In this ceremony there is the annual exibition of the honorables of our country. All the religion sent their ambassadors in appropriate outfit and very dignified. And then enters a very, very old man (Marcel Reich-Ranicki, a famous man in Germany for his literary critics and known survivor of the Warsaw Ghetto) with a folder under his arm. He is being helped by the two highest dignitaries of our country, sits down - and doesn't give a celebratory speech or some sort of admonition. Instead he tells about one single day in the Warsaw ghetto. No appeals, no "we may never forget", no "what history is teaching us", nothing like that. He talks, sometimes mumbling and not precisely following his written words, about this single day of his life, the day, when he had to take notes on a decision of his own death and the ones of thousands of other people, and how, during this monstrous procedings, he thought about is girlfriend and the terrible danger she is now in. Later in the day he marries her in a hasty ceremony in order to give her a bit more protection.

Nichts, wirklich nichts kann so eindringlich sein wie diese sehr lapidare und völlig unkommentierte Schilderung. Nichts verbietet Vergessen eindrücklicher als dieser einem wirklich lebenden Menschen tatsächlich passierte Tag mit seinen nicht zu fassenden Ereignissen. Ich habe vor zwei Tagen das Originalprotokoll der Wannsee-Konferenz gelesen und war schon da erschüttert über diese sachlich-bürokratische Notiz, die Millionen Menschen das Leben, die Freiheit, die Selbstbestimmtheit, das unbeschwerte Weiterleben genommen hat. Und die diesen Menschen der schrecklichen Situation ausgesetzt hat, von der er heute berichtete.

Virtually nothing else can be nearly as haunting as this succinct narration without any single comment. Nothing prohibits forgetting more impressive as this real day in the life of a really living person with its unbelievable events. The day before yesterday I read the notes of the Wannsee-conference, where the Final Solution of the jewish question was decided upon. And I was shattered by this professional-bureaucratic note, which took the lives, the freedom, the self-determination, the untroubled living on of tens of millions of people. And which exposed this man to the terrible situation he reported today.

Sein Sohn sitzt dabei. Er ist Mathematiker lebt in Schottland. Und man kann sehen, wie mitgenommen er von der Erzählung seines Vaters ist. Ich glaube, er hat da gesehen, was ich auch empfunden habe: Dieser Mann hat uns sein Vermächtnis gegeben.

His son is with him. He is a matematician and lives in Scotland. You can see, how shaken he is by the story his father tells. I surmise he saw the same what I sensed: This man has given us his legacy.

Ich bin ein ausgesprochen unpolitischer Mensch. Ich stricke und erzähle, wie ich Maschen so onduliere, dass sie tun, was ich möchte. Mehr habe ich eigentlich nicht zu bieten. Aber, liebe Mitleserinnen, sowas lassen wir nicht mehr zu, okay?

I'm an explicitly non-political person. I'm knitting and telling you all, how I ondulate stitches in a way that they do what I want them to do. There is not much more I have to offer. But, my dear readers, we won't let anything like this happen again. Shall we?

Hier gibts das Video zum Anschauen.

Unfortunately the video is in German. But take a look at this guy and be in ore of what he accomplished. He was utterly tormented by the Germans and spent his life for the German language and literature. The Germans didn't allow him to go to university in the first place, because he was a jew. So everything he knew about books and literature was self-taught, and he for almost thirty years was the deciding instance of the evaluation of books. You may like his views or not, this is a remarkable feat.

1 Kommentar:

  1. Nein so etwas darf nie mehr passieren! Man kann sich das Leid der Menschen die nicht in das "Herrenmenschen" Schema passten nicht vorstellen. Und wie können Menschen überhaupt glauben, dass sie von Geburt an besser sind als andere? Wenn ich über diese Zeit nachdenke, merke ich immer wie einfach unser Leben heute ist - auch wenn es uns manchmal beschwerlich vorkommt.
    lieben Gruß
    Anette

    AntwortenLöschen

Du kannst auch ohne google-Konto kommentieren. Einfach bei Identität "Name/URL" oder "Anonym" wählen, dann geht das. Und ich veröffentliche natürlich alles außer echtem Spam.