Das Wollschaf fragt
Ich beobachte häufig, dass Strickstücke, die von einer Vorlage gestrickt wurden, überschwänglich gelobt werden, auch wenn es ein simples Teil ist, dass hunderte Male im Netz gezeigt wurde.
Selbst entworfene Sachen bekommen häufig sehr wenig Beifall, obwohl da doch richtig Können und Mühe drinsteckt.
Sehe ich das falsch? Und wenn nicht, warum ist das so?
Vielen Dank an Reni für die heutige Frage!
Ich finde nicht die Frage an sich falsch, mir stößt die Bewertung "simpel" doch ziemlich sauer auf.
1. Ein simples Teil, das hunderte Male im Netz rumgeistert, ist mir bislang noch nicht untergekommen. Und das liegt nicht daran, dass ich nicht zwischen einfach und schwierig unterscheiden oder einen Baktus in unterschiedlichsten Formen und Farben nicht sehen kann. Nichts, was jemand handgestrickt hat, würde ich als "simpel" bezeichnen. Ich stricke seit über 40 Jahren und das verhältnismäßig konstant. Wenn ich komplexere Sachen mache, ist das genauso simpel oder schwierig wie ein kraus rechter Schal für eine Anfängerin. Wer bin ich, dann von einem simplen kraus rechten Schal zu reden, wenn diese Anfängerin einen wirklich feinen Schal als Erstlingswerk gezaubert hat? Oder wer bin ich, einen nach Anleitung gestrickten Pullover einer Strickerin nicht zu loben, die normalerweise ein bisschen wenig Durchhaltevermögen hat und und jetzt einen ganzen Pulli ihr eigen nennt? Würde ich hier von "simpel" reden, zeugte das von schlechten Manieren - oder ich hätte die besondere Herausforderung nicht verstanden, mit der sowas entstanden ist.
2. Strickstücke nach Vorlage: Nunja, ich glaube schon, dass ich ein Strickstück ausgesprochen bewundere, das nach dieser Vorlage entstanden ist. Auch bewundere ich es, wenn besagte Anfängerin ihre erste Jacke gemeistert hat und diese passt und sitzt. Ich kann von außen nicht bewerten, was einfach oder schwierig ist, weil da immer noch Elemente in Beziehung gebracht werden müssen, die sich nicht aus dem Strickstück selbst ergeben, sondern aus der Erfahrung der Strickerin, der "gefühlten Herausforderung" und anderem. Nicht zuletzt finde ich, dass Menschen sagen dürfen, wenn ihnen etwas gefällt und das nicht das schwierige, sondern das einfache Teil ist.
3. Selbst entworfene Sachen bekommen häufig sehr wenig Beifall: Diese Erfahrung habe ich nicht gemacht, wobei in meinem Blog eh wenig kommentiert wird. Bei Ravelry werden solche Sachen weniger gefunden, das ist was anderes und erklärt sich aus der dortigen Suchlogik: Ein selbst entworfenes Stück ist logischerweise nicht mit einer Anleitung verknüpft. Damit schwirrt es in den Untiefen von Millionen Projekten rum. Suche ich nach Inspiration, gibt es die Chance, solch ein Teil zu finden, eigentlich nur über das Garn, nicht über die "pattern"-Suche. Und ich beispielsweise suche nie nach Inspiration über ein Garn, weil da immer ein Haufen Zeug dabei ist, das mich nicht interessiert (also Socken, wenn ich einen Pulli will, etc.).
Den Gegenbeweis zu dem von Reni genannten Beispiel habe ich selbst: Mein bei Ravelry mit Abstand bestbewertetes Stück, die Kaunijacke, ist komplett selbst überlegt (Muster, beide Ärmel mit zwei Steeks, Maschenzahlen, Abschlüsse etc.). Ich hab sie mit dem Kauni Cardigan von Ruth Sorensen verknüpft, weil ich von ihr die Idee habe und es blöd gefunden hätte, das zu unterschlagen. Damit wird sie natürlich gefunden.
Am stolzesten bin ich - um noch eine weitere ketzerische Behauptung in den Raum zu stellen (die im übrigen stimmt) - auf meinen Adult Surprise Cardigan. Dieses Teil besteht aus gefühlten Milliarden rechter Maschen, ist nach Vorlage gestrickt (ohne hätte ich einen kraus rechten Riesenlappen produziert), das Garn ist selbstmusternd. Die Jacke passt und fühlt sich so an, als hätte ich wirklich etwas Großartiges hinbekommen. Kraus rechte Maschen und Frau Zimmermann hat mir gesagt, was ich machen muss; 40 Jahre Strickerfahrung und das ist das, wo ich wirklich finde, ich habe mich selbst übertroffen, einfach nur deshalb, weil die knapp zwei Kilometer Garn in Nadelstärke 3,5 schön sauber in einer Jacke untergebracht sind und nicht wieder aufgeribbelt in meinem Vorrat liegen.
In Summe wäre meine Antwort auf die Schaffrage heute: Bitte keine solche Wertung. Vielleicht verdient ein Baktus viel mehr Lob als eine noch so komplexe Arbeit, weil die Strickerin sich da durchgebissen hat - oder weil das Ding in all seiner Geradlinigkeit aus Form und Farbe einfach gelungen ist. Wir sollten uns statt dessen lieber drüber freuen, dass die Strickgemeinde so großzügig ist mit Lob, ob für Stino-Socken oder komplexe selbstentworfene Zopfjacken.
Westknis MKal 2024: 1. Teil von Teil 4 beendet.
vor 23 Stunden
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